Freitag, 1. Februar 2013

Wirtschaftspolitik im Dritten Reich, Teil 1

Von Stefan Sasse

Arbeitslosenzahlem von 1933 bis 1939
Die Wirtschaftspolitik des Nationalsozialismus ist von Mythen umrankt. Das ist verständlich, denn die NSDAP kam im Umfeld der größten Wirtschaftskrise mehrerer Generationen an die Macht und stabilisierte ihre Herrschaft auch durch scheinbare wirtschaftliche Erfolge, der größte davon eine nominelle Vollbeschäftigung. Und zum Ende waren nicht nur die Alliierten verwundert, wie das zusammengebombte Dritte Reich es schaffte, immer noch eine Rüstunsmaschinerie am Laufen zu halten. Im Folgenden soll deswegen der Wirtschaftspolitik des Dritten Reichs auf den Grund gegangen werden - sowohl im Frieden als auch, später, im Krieg.

Zu Beginn stehen die Konzepte. Die wichtigste Idee der Nationalsozialisten war die Autarkie. Sie verstanden darunter die Fähigkeit Deutschlands, völlig ohne Importe auszukommen und einen in sich geschlossenen Wirtschaftskreislauf zu schaffen. Diese Idee fußte auf zwei gleichermaßen fixen Ideen. Die erste war das grundsätzliche Misstrauen gegenüber marktwirtschaftlichen Strukturen, besonders im Handel mit anderen Nationen (eine Haltung, mit der die Nazis in den Protektionismus-geplagten 1920er und 1930er Jahren allerdings nicht alleine standen), die zweite das Bewusstsein, dass man es auf einen Krieg anlegte und in einem solchen eine Abhängigkeit vom potenziell feindlichen Ausland verheerend sein würde. Der Autarkismus sah die Schaffung eines eigenständigen Wirtschaftsblocks vor, der nicht nur aus Deutschland bestand, aber klar von Deutschland dominiert wurde. Die NS-Planer dachten an eine Art Kolonialreich, modelliert an einem völlig idealisierten Bild des britischen Weltreichs. Deutschland würde Rohstoffe aus nachgeordneten Staaten besziehen - vor allem in Osteuropa und auf dem Balkan - und diese für seine eigene Wirtschaft nutzen. So wäre es komplett unabhängig vom Welthandel.

5 Reichsmark, 1942
Das Konzept diente natürlich nicht der bestmöglichen Versorgung der Bevölkerung und ihrem Wohlergehen, sondern war den Interessen der so genannten Wehrwirtschaft untergeordnet - die Autarkie war lediglich ein wenn auch entscheidender Wegstein zur Vorbereitung eines Krieges. Sie musste instande sein, genügend Ressourcen für den militärischen und die Aufrechterhaltung eines rudimentären zivilen Sektors zu beschaffen (hierzu später mehr), den Treibstoff für die Fahrzeuge bereitszustellen, eine Infrastruktur aufzubauen, die schnelle Truppenverlegungen ermöglichte und all das auch finanzieren.

Den Nationalsozialisten war klar, dass die Errichtung dieser Wehrwirtschaft klar zulasten einer zivilen Wirtschaft, besonders der Konsumgüterindustrie, gehen musste. Stets das Schreckbild des Zusammenbruchs 1918 vor Augen definierten sie die zuverlässige Versorgung der Bevölkerung mit den Gütern des täglichen Bedarfs als höchste Priorität, die auch in der Tat wesentlich zum langen Durchhalten Nazi-Deutschlands beitrug. Die Versorgung mit Lebensmitteln musste gesichert werden, ebenso mit den Gütern, die zur Aufrechterhaltung des Propagandapperats notwendig waren - Zeitungen, Radios, Kinoeintritt u.ä. Des Weiteren wurden einige propagandistische Programme wie der Volkswagen initiiert, mit denen das Volk gegenüber dem Regime positiv gestimmt werden sollte. Vordringlichstes Ziel musste daher die Beendigung des Brüning'schen Austeritätsprogramms und die Herstellung von Vollbeschäftigung sein. Die Verbreitung bestimmter wirtschaftlicher Güter, vor allem Autos, sollte propgandistisch die Leistungsfähigkeit des Regimes herausstreichen. 

Saalebrücke bei Hirschberg - Man achte auf den regen Verkehr.
Mit diesen Zielsetzungen ging das Regime an die Planung seiner Wirtschaft. Aufbauend auf den Weimarer Programmen zum Infrastrukturausbau trieben die Nationalsozialisten den Ausbau der Autobahnen voran. Um möglichst schnell die Arbeitslosigkeit abbauen zu können, nutzten sie eine künstliche Manualisierung der Arbeit: mit primitiven Werkzeugen wie Hacken und Schaufeln, ohne großartigen Maschineneinsatz, wurde der Arbeitskräftebedarf künstlich vervielfacht. Tausende von schlecht ausgebildeten Arbeitslosen konnten hier zum Einsatz kommen. Da die Arbeit hart, schlecht bezahlt und von widrigen Umständen begleitet war - die Arbeiter mussten ihre schäbigen Unterkünfte selbst bauen - gab es kaum Freiwillige, weswegen das Regime die Arbeitslosen einfach zum Einsatz zwang. Die Maßnahme war vor allem propagandistisch erfolgreich und brachte eine sechsstellige Zahl Arbeitsloser in Arbeit; die Autobahnen selbst waren wegen der geringen Motorisierung unbedeutend; Truppenverlegungen geschahen ohnehin per Eisenbahn.

Die Nationalsozialisten gingen außerdem zügig daran, eine Kernforderung der Unternehmer zu erfüllen - die ihnen natürlich auch gelegen kam - und zerschlugen noch im Mai 1933 die Gewerkschaften vollständig. An ihre Stelle trat die DAF, die "Deutsche Arbeitsfront", die aber kein effektives Verhandlunsorgan war.  Als Ausgleich wurde die KdF, die "Kraft durch Freude", aufgebaut, eine Organisation, die Urlaubsreisen für Arbeitnehmer organisierte. Den größten Effekt auf die Arbeitslosigkeit aber hatten zwei Maßnahmen, beide 1935: die Einführung des "Reichsarbeitdiensts", in den Männer bis zum Alter von 24 eingezogen wurden und der effektiv unbezahlte, körperliche Arbeit darstellte, und die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht, die die Zahl der Soldaten von 100.000 auf eine Million steigerte - und die Arbeitslosigkeit unter jungen Männern praktisch vollständig beseitigte. Ein effektiver Preisstop fror dazu die Löhne und Preise etwa auf dem Niveau von 1933 ein - der Lebensstandard im Reich lag damit unter dem von 1928, aber natürlich deutlich über dem der Jahre 1930-1932, die für die meisten Menschen den einzig gültigen Vergleichssmaßstab darstellten. 

Speisung im Obdachlosenasyl 1932
Es ist wichtig an dieser Stelle den Unterschied zwischen relativem und absolutem Wohlstand zu verstehen. Den Menschen ging es zu Beginn der nationalsozialistischen Diktatur im allgemeinen besser als während der Wirtschaftskrise, aber schlechter als in der Weimarer Republik. Nur war dieser feine Unterschied natürlich rein akademisch - wer drei Jahre lang in grausamen wirtschaftlichen Umständen gelebt hat erinnert sich nicht mehr realistisch an das, was vorher war (besonders wenn dieses Vorher ohnehin beständig denunziert wird). Bewusst war vor allem eines: die Massenarbeitslosigkeit war vorüber, und praktisch niemand mehr musste Angst davor haben, kein Brot auf den Tisch zu bekommen. Angst betraf einige andere Gruppen, vor allem ehemalige aktive Demokraten, Kommunisten und Juden. Diese Gruppen verloren enorm an wirtschaftlicher Sicherheit, allen voran die Juden.

Neben den propagandistischen Maßnahmen - vor allem der in Szene gesetzte Autobahnbau und die Einführung des Reichsarbeitsdiensts - fanden im Hintergrund umfrangreiche Richtungswechsel in der Wirtschaftspolitik statt. Diese Richtungswechsel wurden mit großem Aufwand vor der Öffentlichkeit innerhalb wie außerhalb Deutschlands verborgen, denn sie waren alles andere als hasenrein. Letztlich ging es Hitler darum, dass die Wirtschaft möglichst schnell einen akzeptablen Lebensstandard bereitstellte und andererseits in der Lage war, die geplante Aufrüstung zu schultern. Dies konnte nur mit einer expansiven Wirtschaftspolitik erreicht werden, doch diese würde unweigerlich destabilisierend wirken. Eine trabende Inflation aber konnte man sich genausowenig leisten wie eine Aufnahme von größeren Schuldenbeträgen. Letzteres war in der Weltwirtschaftskrise mangels Kreditgebern ohnehin nicht möglich. Der Vorsitzende der Reichsbank, Hjalmar Schacht, brauchte also dringend eine Möglichkeit, die ab 1935 rasch ansteigenden Rüstungsausgaben mit einer Art Schattenwirtschaft zu finanzieren, denn die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Landes reichte eigentlich gerade aus, um den Lebensstandard der Deutschen wieder auf das Niveau Ende der 1920er Jahre zu bringen (das übrigens im ganzen Dritten Reich nie wirklich erreicht wurde).

Funktionsweise der Mefo-Wechsel
Zu diesem Zweck grüdnete er zusammen mit vier namhaften deutschen Unternehmen - Siemens, Gutehoffnungshütte, Krupp und Rheinmetall - die "Metallurgische Forschungsgesellschaft", eine reine Tarnfirma. Diese "Mefo" diente lediglich einem Zweck: eine zweite Unterschrift für Wechsel bereitzustellen, mit denen diese zum gesetzlichen Zahlungsmittel werden konnten. Offiziell deckten diese vier Unternehmen also von der Reichsbank ausgegebene Wechsel, die nicht auf Gold oder anderen Werten basierten, wie es die Reichsmark offiziell tat. Die Eigenkapitaleinlage der Mefo betrug gerade einmal eine Million Reichsmark - bedenkt man, dass bis 1938 Wechsel über insgesamt 11,9 Milliarden Reichsmark ausgestellt wurden erkennt man den gewaltigen Hebel, mit dem hier gearbeitet wurde.

Da hinter den Wechseln keine echten Werte standen, konnte das Reich die damit getätigten Einkäufe natürlich kaum bezahlen. In der Realität wurden daher nur rund 40% der mit den Wechseln getätigten Einkäufe tatsächlich bezahlt. Die restlichen 60% wurden als Anteile auf spätere Einnahmen und Steuernachlässe gutgeschrieben. Dies führte zu zwei Entwicklungen: zum einen gruben die Mefo-Wechsel dem Reich innerhalb kürzester Zeit die Steuerbasis ab, weil ja gewaltige Steuergutschriften aufliefen. Und zum anderen entstand eine kurzfristig in die Zukunft verlagerte Notwendigkeit, neue Einkommensquellen zu erschließen, um die Wechsel zu bedienen. In den Firmen selbst wurde das System natürlich schnell durchschaut. Da mit nur 40% des Warenwerts kaum gewirtschaftet werden konnte, begannen die Firmen in gewaltigem Umfang die Bilanzen zu frisieren und um ein vielfaches höhere Preise abzurechnen. Das ab 1934 von Hermann Göring gesteurte Wirtschaftsministerium konnte dagegen wenig unternehmen - die Mefo-Wechsel hatten eine gegenseitige Symbiose geschaffen. Weder konnte das Wirtschaftsministerium die Bilanzfälschungen anprangern noch die Firmen die Wechsel einlösen. 1938 wurde die Ausgabe der Wechsel gestoppt, ermöglichte bis dahin aber die Aufrüstung auf ein Niveau, das in etwa dem der Nachbarstaaten entsprach.

Weiter geht's in Teil 2. 
Bildnachweise: 
Arbeitslosenrate - Hedwig Klawuttke (CC-BY-SA 3.0)
Reichsmarl - Bildarchiv der Deutschen Bundesbank, Frankfurt am Main (gemeinfrei)
Autobahnbrücke - Bundesarchiv, Bild 146-1979-096-13A / CC-BY-SA
Obdachlosenasyl -  Bundesarchiv, Bild 183-R96268 / CC-BY-SA
Mefo-Wechsel - Guido Golla (CC-BY-SA 3.0)

3 Kommentare:

  1. Kleines Detail am Rande: Wenn die Bildunterschrift "Arbeitslosenrate" heißt, müssten doch relative Zahlen zu sehen sein statt absolute?

    Aber nichtsdestotrotz interessanter Artikel, Vielen Dank!

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