Donnerstag, 3. November 2011

Das Zeitalter der Kernenergie Teil 3/3

Von Stefan Sasse

Atombombentest "Trinity"
Seit der Entdeckung der Kernspaltung wurde diskutiert, die gewaltigen freiwerdenden Energiemengen zur zivilen Nutzung freizugeben. Durch den Krieg kam es zu einer Forcierung auf den Bombenbau; danach ging es mit der zivilen Forschung ebenfalls voran. Man unterteilt die Entwicklung in drei Phasen: erste Experimente mit Reaktoren, ab Mitte der 1950er Jahre forcierte Reaktorenforschung und von Mitte der 1970er bis Mitte der 1980er Jahre die Frage nach Abfallbeseitigung und Risikomanagment durch fundierte Erfahrung mit Atomtechnologie. Der Reaktorunfall von Fukushima könnte durchaus der Beginn einer vierten Phase sein, die den Ausstieg aus der Atomenergie markiert.
Nach dem Zweiten Weltkrieg konzentrierte man sich besonders auf die Erforschung eines Nuklearantriebs für Schiffe; nicht nur für militärische, sondern auch zivile Zwecke. Diese Forschung war dabei sehr aufwändig, was den personellen, materiellen und besonders finanziellen Aspekt anbelangt. Deswegen entwickelte man die Großforschung („Big Science“), deren Paradebeispiel die Kernphysik ist (Manhattan Project). Die Großforschung ist dabei eng mit Staat wie Wirtschaft verwoben:

Kernenergie: Akteure und Diskurse

Staat                                                                                      Wirtschaft
                                              
„Technological Narratives“
                                                                       Key Discourses:

-          Freezing time by claiming future
-          Locating the future on a „new“ frontier
-          Asserting superior knowledge claims
-          Asserting imperatives
-          Discounting residual difficulties into the future
-          Asserting faith in progress

Wissenschaft
Big Science

In der Entwicklung der Kernenergie ist neben der Wirtschaft der Staat sehr stark involviert (ganz im Gegensatz zu den meisten anderen Forschungsbereichen). Das liegt vor allem an der Gefährlichkeit der Kernenergie, die der Kontrolle bedarf. Die Staaten richteten deswegen eigene Aufsichtsbehörden für die Atomforschung ein. Die Deutschen waren 1956 vergleichsweise spät dran; das liegt unter anderem daran, dass die deutsche Kernforschung starken Restriktionen unterworfen war. Auch der Wirtschaft war stark daran gelegen, dass der Staat ein wichtiger Mitspieler der Kernforschung blieb, schon allein wegen der gewaltigen Kosten, die der Staat zum Großteil übernahm, aber auch wegen des noch immer hohen Endrisikos, da man sich über die Einsatzmöglichkeiten noch nicht im Klaren war. Ab Mitte der 1950er Jahre jedoch gewann die Wirtschaft zunehmend Einfluss, als die Möglichkeiten und Chancen absehbar wurden.

Präsident Eisenhower
Auch das Militär hatte großen Einfluss auf die Wissenschaft. Es bildet sich heraus, was Eisenhower in seiner Abschlussrede den militärisch-wirtschaftlich-wissenschaftlichen Komplex nannte. Was im obigen Schaubild „Technological Narratives“ genannt wird, sind Überzeugungen, die man damals bezüglich der Kernforschung hegte, so die der ständigen Verbesserung der immer besseren Reaktoren, was besonders am Reden von der Reaktor„generation“ deutlich wird (Freezing time by claiming the future). Eine weitere war die Idee, dass die wissenschaftlichen „Experten“ besser als der Rest der Bevölkerung Bescheid wüssten, welche Forschung vorangetrieben werden muss und welche Gefährunden bestehen (Asserting superior knowledge claims).

In Idaho wurde 1951 der erste Atomreaktor ans Netz gestaltet, der 100 Kilowatt Leistung produzierte und Anlass großer Hoffnungen war. Auch auf dem Gebiet der friedlichen Nutzung befanden sich USA und UdSSR in einem gewaltigen Wettlauf. Es gibt in dieser Zeit auch den Ratschlag, Sonnen- und Wasserenergie zu erforschen anstatt der Atomenergie, was jedoch durch den Systemwettlauf spätestens mit Eisenhowers „Atoms for peace“-Kampagne 1953 erledigt war (die auch den Einfluss der Atomic Energy Commission stark reduzierte und der kommerziellen Nutzung der Atomenergie den Weg ebnete). Die Kampagne nutzte einen gewaltigen Aufwand, um die Befürchtungen der Bevölkerung bezüglich der Atomtechnik zu zerstreuen und propagierte besonders die phantastischen Möglichkeiten der zivilen Nutzung. Werbebroschüren in gigantischen Auflagen, Schulungskurse, Hilfsprogramme für andere Länder und ähnliches machen die Kampagne, die bald auch in andere Länder getragen wurde, sehr erfolgreich. Dadurch gaben sich die USA auch ein sehr friedliches Image, obwohl sie als erste die Atombombe entwickelt hatten wie auch ein fortschrittliches Image, das in Europa bereits seit den 1920er Jahren bestanden hatte und durch die Kampagne gestärkt wurde. Die USA verloren den Wettlauf jedoch; in Obninsk ging 1954 der erste Nuklearreaktor ans Netz, der immerhin 2000 Haushalte versorgen konnte. Im Dezember 1954 legten die USA dafür mit dem ersten Atom-U-Boot nach. 1956 (Calder Hall, Sellafield) und 1957 (Shippingport) wurden in den USA große Reaktoren ans Netz angeschlossen; in Frankreich folgte 1959 ein Reaktor in Marcoule. Die Atomreaktoren hatten dabei durch ihren gewaltigen Infrastrukturbedarf einen ebenso gewaltigen Landschaftsverbrauch, was die politische Durchsetzung der friedlichen Nutzung von Kernenergie schwierig machte. Das erste nicht-militärische nukleargetriebene Schiff wurde 1959 in Dienst gestellt: der sowjetische Eisbrecher „Lenin“.

Atoms for Peace-Logo
Wirklich quantitativ bedeutend wurde die Zahl der Atomkraftwerke erst Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre. Gleiches gilt für den Anteil des Atomstroms an der Gesamtstromerzeugung. Dafür gibt es mehrere Gründe: zum einen war zu dieser Zeit die Technologie ausgereifter, zum anderen wurde es als wirtschaftliche Notwendigkeit empfunden, denn ab Oktober 1973 verteuert sich das Rohöl im Rahmen des Jom-Kippur-Kriegs deutlich, das bis dato der Schmierstoff der industriellen Entwicklung war. Die Genfer Konferenz der UNO, die ihren Anstoß durch die „Atoms for peace“-Kampagne bekam, brachte die zivile Entwicklung weiter voran. So zeigten die Amerikaner beispielsweise einen Minireaktor (den Schwimmbad-Reaktor). Eröffnet wurde die Konferenz am 8. August 1955; in der Eröffnungsrede wurde Hiroshima mit keiner Silbe erwähnt, obwohl es sich zum zehnten Mal jährte, um ja die Ängste und Sorgen der Menschen vor einem Nuklearkrieg zu zerstreuen. In der Berichterstattung dieser Zeit tauchte der Begriff vom „Atomzeitalter“ erstmals gehäuft auf. Besonders die Linken (in Deutschland v.a. die Sozialdemokraten) überfrachten die Atomtechnologie mit positivem Image. Das liegt besonders am Fortschrittsglauben der Linken (im Gegensatz zu den Konservativen), der sich in den 1950er Jahren mit starken ordnungspolitischen Vorstellungen koppelte: nach dem Vorbild der Atomwirtschaft hofft man, den Staat zu einem stärkeren Akteur in der Wirtschaft zu machen und, ebenso nach dem Vorbild der Kernenergie, überstaatliche Kooperation zu stärken. Die tendenzielle Unerschöpflichkeit der Energiequellen öffnete (ideologisch) das Zeitalter der Fülle. Unbegrenzte Mobilität aller schien möglich. Selbst in der Konservierung von Lebensmitteln fand die Kernenergie (theoretische) Anwendung. Interessant ist auch, wie jedes Land versuchte, die Atomenergie propagandistisch für sich zu nutzen (exemplarisch das Festival of Britain 1951, als die Briten weit von einem Reaktor entfernt so taten, als sei die Kernforschung urbritisch).

Die Modernisierungspolitik wird besonders in Frankreich eng an die Atomenergie gekoppelt; man führte die Niederlage im Zweiten Weltkrieg besonders auf technologische Rückstände zurück. Des Weiteren wird in Frankreich der Anspruch einer großen Nation auf Nukleartechnologie postuliert (in Deutschland: souveräne Nation). In Europa verfügte aber kein Land allein über die Voraussetzungen, Großforschung für Nukleartechnik zu betreiben – ein weiter Grund der europäischen Integration. So kam es 1957 zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft. Bereits die Entdeckung der Röntgenstrahlung um 1900 sorgte für euphorische Visionen ihrer Nutzbarkeit bis hin ins Feld der Alltags- und Konsumkultur. So röntgte man schwangere Frauen oder stellte Crémes und Medizin aus radioaktivem Material her. Nicht erst durch den Tod einiger Röntgenforscher an Leukämie setzte sich die Erkenntnis durch, dass Strahlung gefährlich ist und der Erkrankungsgrad von der Strahlenmenge abhängt.

Erste Röntgenaufnahme
Im Ersten Weltkrieg setzte man erstmals auf breiter Fläche Röntgenstrahlen in den Lazaretten ein. 1920 verbot die Medical Association die Bestrahlung zur Haarentfernung, 1932 die Einnahme von radiumhaltigen Stoffen. Man begann nach der „ungefährlichen“ Strahlenmenge zu forschen. Nach 1945 erforschte besonders das Manhattan Project weiter die Strahlung. Man fand bald heraus, dass bereits kleinste Mengen Strahlung schädlich sind, und das Konzept der Forschung drehte sich hin zum „Grenzwert“. Man befasste sich vorrangig mit Strahlenschutz und versuchte, den Grenzwert herauszufinden. Im Rahmen des Manhattan Projects wurden zwischen 1945 und 1947 Patienten gezielt bestrahlt, um Grenzwerte herauszufinden – ohne es diesen auch nur zu sagen. Bis in die 1950er Jahre führte man Testreihen mit bestrahlter Nahrung durch, die geistig behinderten Schülern gegeben wurde. In den 1950ern verschob sich der Fokus dann zur Reaktorsicherheit.

Diese war bereits während des Manhattan Projects ein Thema, wo die neuen Reaktoren gesichert werden sollten. Die Physiker versuchten sich, bereits mathematisch ausgerichtet, an Wahrscheinlichkeitsmodellen. Die Chemiker und Chemieingenieure wollten ein Hauptsystem einbauen, das abgeschottet vom Rest existiert. Sie gingen davon aus, dass ein Unfall geschehen wird – im Gegensatz zu den Mathematikern und Physikern – und bauten für diesen Fall Behelfssysteme ein, die möglichst schnell den Reaktor herunterfahren sollten. Das führte dazu, dass die Sicherheitstechnologie in die Ingenieurs- und Physiklehrgänge eingeführt wurde, besonders am MIT. Diese Ingenieure kamen dann in den späten 1960er und 1970er Jahren in leitende Positionen, wo Sicherheitskonzepte mehr denn je gefragt waren, bedenkt man den forcierten Ausbau der Kernenergie in dieser Zeit. Dazu gehörte auch ein Versicherungssystem, bei dem die Bundesregierung Schäden deutlich über 60 Millionen Dollar versicherte – im Gegensatz zu den Privaten.

Aufräumarbeiten nach dem Unfall von Three-Mile-Island
Farmer schlug schließlich Ende der 1960er Jahre vor, eine Unterscheidung zwischen tragbarem und untragbarem Risiko zu ziehen. Man wog auch den Nutzen der Kernenergie dagegen ab, dabei ein Grundrisiko akzeptierend. Das wesentliche Ergebnis war, dass die Wahrscheinlichkeit des Todes durch Meteoriteneinschlag höher taxiert wurde als durch Reaktorunfall. Durch diese mathematischen, hochkomplexen Risikomodelle begann der Aufstieg der „Experten“, da die breite Masse nicht auch nur im Ansatz über das notwendige Wissen zur Risikobestimmung verfügte. Ab den 1970er Jahren mehrte sich jedoch wissenschaftliche Kritik an diesen Modellen. Es begann das heute bekannte Phänomen, dass sich auch die Gegenseite mit wissenschaftlichen Expertisen eindeckt. Die Voraussetzung dafür ist durch die beginnende wissenschaftliche Meinungspluralität der 1970er Jahre geschaffen worden. 1979 kam es zu einem Unfall im Three Miles Island Reaktor in Harrisburg: das Kühlsystem fiel aus. Weitere Subsysteme folgen; am Ende entweichen durch eine partielle Kernschmelze nukleare Strahlen. Zwar kamen keine Menschen zu Schaden, jedoch diskreditierte es all die Befürworter der Sicherheitsmodelle – besonders den Rasmus-Report, der gerade vier Jahre zuvor erschienen war. Die herrschende Hysterie zeigt, dass die Gefahr eines Reaktorunfalls in der Bevölkerung vollständig anders assoziiert wurde als beispielsweise die viel wahrscheinlicheren Dammbrüche. Dies liegt vor allem an der ständigen Assoziation der Kernreaktoren mit den nuklearen Waffen, entgegen aller gegenläufigen Propaganda.

Besonders wegen der großen Furcht der Bevölkerung von Nuklearwaffen und Nuklearkrieg, der besonders in den 1950er Jahren als extrem wahrscheinlich galt, versuchte man propagandistisch die Bevölkerung zu beruhigen und die Nukleartechnologie zu normalisieren. Man versuchte die Beherrschbarkeit und die Möglichkeit von Schutz zu suggerieren. Man erklärte also den Menschen mit einer Propagandaoffensive über alle Medien, was bei einem Nuklearangriff passiert und wie man sich schützt. Gerade über diese Propaganda, zusätzlich verstärkt durch ständige Übungen, normalisierte man den Krieg. In einer Flut von Zivilschutzfilmen wurde die Gefahr der Atombombe sowohl beständig aktiviert als auch banalisiert. Von Hiroshima war, wie üblich, keine Rede.

Präsident John F. Kennedy
In den späten 1950er und frühen 1960er Jahren verschob sich die Aufmerksamkeit auf die Atombunker und den Fallout, besonders im Zusammenhang mit dem außer Kontrolle geratenen Bravo-Test. Es begann mit einer Kennedyrede eine gewaltige Propagandaoffensive zum Bau von Atomschutzbunkern auch für Privatleute. Dabei wirkte die Propaganda durch ihre Männerzentrierung konstitutiv für Geschlechterrollen und appellierte an ur-amerikanische Werte. Die real gebauten Bunker blieben aber deutlich hinter den Erwartungen zurück. Im Bewusstsein der Amerikaner sind sie jedoch noch heute ungemein lebendig. Die Menschen vertrauten mehr auf öffentliche Bunker und hatten schlicht keine Lust zum Bunkerbau. Wichtiger scheint jedoch die ethische Frage gewesen zu sein: darf/muss/soll man den Nachbarn erschießen, der in den eigenen Bunker will, weil er selbst keinen gebaut hat? Außerdem ging die Angst vor dem Fallout mit dem Atomteststoppabkommen massiv zurück, weil die Bilder von Atompilzen im Fernsehen fehlten. Auch die anbrechende Ära der Rüstungskontrolle mit ihrer Gefahrminderung eines Atomkriegs spielte mit hinein; ab Mitte der 1960er Jahre, das als generelles Resümee, schwächten sich die Sorgen der Menschen ab.

Das Atomzeitalter in der Popkultur

Bereits von Anfang an war die Atombombe beziehungsweise die Kernenergie ein Bestandteil der zeitgenössischen Popkultur. Ob Atombomben als Packungsbeilagen von Frühstücksflocken oder Disneys „Our friend, the atom“ – in den 1950er Jahren wimmelte es vor verharmlosten Atomexplosionen. Auch in den Disney-Comics wurde viel Verharmlosung und Veralltäglichung betrieben. Eine andere Sprache sprechen die japanischen Mangas, die deutlich düsterer sind. In Amerika war die Tendenz ungebrochen; Las Vegas erklärte sich zur „Atomic City“ und machte den Atompilz zu seiner Ikone, auf Automaten, Süßigkeiten und Spielzeug. Wettbewerbe wie der „Miss Atomic Bomb“-Schönheitswettbewerb wurden veranstaltet. Auch der Bikini mit seinem „explosiven Effekt“ auf Männer gehörte dazu. In Musik und Film spielte die Atombombe auch eine Rolle; ob als Liebesmetapher oder Thema schlechter B-Movies; der Atompilz war omnipräsent. Eher ungewöhnlich für die damalige Zeit war der satirische „Dr. Strangelove“ von Kubrick. In den 1980er Jahren dominierte dann ein pessimistisch-realistischer Blick, wie in „The Day after“.

Kongress des Weltfriedensrates
In den 1960er Jahren, besonders mit 1968, erlahmte das Thema „Atomkrieg“ und verlor seine Integrationskraft für die Protestbewegung. Ab Mitte der 1970er Jahre kam er zaghaft wieder auf, als klar wurde, dass die Rüstungsbegrenzung und –kontrolle nicht in einer Abrüstung mündete und zudem stark in ihrer Wirksamkeit eingeschränkt war. Zudem begann sich die Lage zwischen den Supermächten wieder zu verschärfen. Das brachte zum einen den etablierten Friedensbewegungen wieder Zulauf. Zum anderen aber begann auch ein politischer Prozess, besonders von der UNO aus, so dass die NGOs erstmals die politische Bühne betraten. Des Weiteren kam es zu Neugründungen, beispielhaft zu sehen am 6. August 1977, als die International Mobilization for Survival gegründet wurde, in der sich unterschiedliche Friedensorganisationen zusammenschlossen, um ihrer Sache mehr Schlagkraft zu verleihen. Das gelang nur kurzfristig; lange, permanente Strukturen wurden nicht ausgebildet. Im Bereich der politisch festgelegten Organisationen fiel der Blick zwangsläufig auf den kommunistischen Weltfriedensrat. 1977 wurde ein neuer Stockholmer Appell aufgelegt, der sich für die Abrüstung auf westlicher Seite einsetzte.

Neu in den 1970er Jahren war, dass der Protest sich auch in den atomaren Anrainerstaaten artikulierte, die selbst nicht über Atomwaffen verfügen und häufig ihre Gebiete für Atomtests zur Verfügung stellten. Besonders stark war der Widerstand im pazifischen Raum, bsp. in Australien und Neuseeland.
In Großbritannien lebte zu dieser Zeit wieder der CND auf, dessen Mitgliederzahl sich zwischen 1978 und 1980 verdreifachte und die Osteraufmärsche wieder aufnahm. 1980 kam es auf dem Trafalgar Square zum größten Marsch seit den frühen 1960er Jahren, der wie üblich gegen atomare Rüstung, aber auch gegen die Zivilschutzpropaganda richtete. Auch die Kirchen, besonders die eigentlich traditionell dem Militär nahe stehenden Protestanten, engagierten sich in dieser Zeit stark für die Friedensbewegung. In Deutschland wurde der Krefelder Appell unterschrieben und die Partei „Die Grünen“ gegründet, die den Atomprotest ins Parlament trug. Auffällig ist zu dieser Zeit die starke Konjunktur der Frauenfriedensgruppen, in der feministische Gruppen mit der Abrüstungsthematik verschmolzen (Rüstung männlich, Frieden weiblich), was den Frauengruppen einen deutlichen Schub gab. Exemplarisch sei hier die britische Blockade in Greenham Common genannt. Bezeichnend für die feministische Stoßrichtung dieses Protests war nicht nur der ideologische Salto Mortale, Frauen als Friedensengel darzustellen, sondern auch der Ausschluss von Männern. Diese Aktionen wirken heute geradezu esoterisch.

Greenpeace-Schiff "Rainbow Warrior"
Sehr engagiert waren damals auch die Ärzte; sie sind die Berufsgruppe, die für die Friedensbewegung die wichtigste darstellt. Intensiver als je zuvor setzten sie sich mit den medizinischen Folgen von Strahlung auseinander, sowohl aus den Folgen eines Atomkriegs als auch aus den Atomkraftwerken.
Auch im Osten formieren sich Abrüstungs- und Protestbewegungen. Diese wurden vom Staat unterdrückt; pars pro toto soll hier Sacharov erwähnt werden. Wie in Europa waren es auch hier Ärzte, die vor den Folgen der Verstrahlung warnten. Es kam zu einem Treffen zweier Radiologen in Moskau, bald (1980) entsteht aus diesen Treffs die International Physicians for the Prevention of Nuclar War. Diese ist bis heute sehr aktiv und gewann schnell viele Mitglieder. Interessant ist hierbei, dass sich hier Experten organisierten, die sich qua Ausbildung kompetent zu den Gefahren des Atomzeitalters äußern konnten, was sie vorher nicht taten. Damit kam die gesamte Sicherheitskonzeption des Expertenwissens seitens der Befürworter der Atomenergie um die Berechenbarkeit des Risikos und die Sicherheitssysteme in Verruf. Dazu gehörte der Verlust der Euphorie um die Nutzung der friedlichen Kernenergie. Symbolisch steht hier die Gründung von Greenpeace. Entstanden aus dem Protest gegen US-Atomtests vor Alaska verbreitete sich die Bewegung rasant über die Welt. Aus der Radikalisierung des Protests entwickelte sich eine generelle Staatskritik; das Schlagwort vom „Atomstaat“ machte in den 1970er Jahren die Runde. Der Protest gegen Atomwaffen und Atomenergie fusionierte; durch Unfälle in AKWs wurde dieser weiter befeuert.

Auch im Osten nahmen die Proteste ab Ende der 1970er Jahre zu, unbeachtet aller Gefahren. Ab Mitte der 1980er Jahre erhielt die Opposition mehr Möglichkeiten, sich zu artikulieren. Diese Bewegung war sicherlich mit entscheidend für den Untergang des Ostblocks. Mit dessen Ende gingen auch die Atomkraftgegnerbewegungen zu Ende, da die objektive Notwendigkeit von Atomrüstung weggefallen schien und es Abrüstungs- und Kontrollfortschritte gab. Außerdem konzentrierte sich die Friedensbewegung wieder auf andere Ziele, so den Irakkrieg 1991. Das Atomzeitalter endet aber mit dem Ende des Ost-West-Konflikts nicht, weder militärisch noch in Bezug auf die zivile Nutzung. Zwar wurden nach 1990 zahlreiche Verträge geschlossen. Das alles jedoch verhinderte nicht die Etablierung neuer Atommächte bzw. deren Versuch. Lybien beispielsweise versuchte Atomwaffen zu entwickeln, wurde jedoch 2003 entdeckt. Algerien hatte seit den 1980er Jahren begonnen, nukleare Infrastruktur zu bauen, stimmte jedoch 1992 und 1994 Kontrolle und der Nichtverbreitung zu. Es gibt aber auch Gegenbeispiele. Südafrika beispielsweise trat 1990 dem Nichtverbreitungsvertrag bei und gab zwei Jahre später bekannt, dass es sein Entwicklungsprogramm einstellte; weitere Beispiele sind einige UdSSR-Nachfolgestaaten, die dem Vertrag beitraten und die auf ihrem Boden stationierten Atomwaffen an Russland zurückgaben. Probleme machen weiterhin die Staaten, die auf dem Sprung sind, wie der Iran oder Nordkorea. In der heutigen Zeit ist dezidiert zu beobachten, dass die Rationalität des MAD abhanden gekommen ist, die eine gewisse Kontrolle ermöglichte.

Bildnachweise: 
Trinity - US Govt. Defense Threat Reduction Agency (gemeinfrei)
Eisenhower - Fabian Bachrach (gemeinfrei)
Atoms - United States Atomic Energy Commission (gemeinfrei)
Röntgen - Wilhelm Röntgen (gemeinfrei)
Aufräum - John G. Kemeney (gemeinfrei)
Kennedy - Cecil Stoughton (gemeinfrei)
Kongress - Roger Rössing (CC-BY-SA 3.0)
Rainbow - Rama (CC-BY-SA 2.0)

2 Kommentare:

  1. Danke für den Artikel!

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  2. Bei dem Satz "Man wog auch den Nutzen der Kernenergie gegen ihren Nutzen ab, dabei ein Grundrisiko akzeptierend." Ist denke ich ein Nutzen zu viel. Diesen Kommentar können Sie auch gerne wieder löschen. Sehr guter Artikel, vielen Dank!

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